Superfoods sind in den letzten Jahren gerade in der Fitness-Szene schwer in Mode gekommen. Und auch du hast mit Sicherheit schon einmal ein Quinoa-Rezept ausprobiert, dir ein paar Chiasamen ins Müsli gemischt oder Avocados mehr oder minder regelmäßig in deinen Speiseplan eingebaut. Aber hast du gewusst, dass Superfoods nicht in jeder Hinsicht super sind?
Nein, es geht nicht um die Nahrungsmittel selbst, denn diese sind nach wie vor aufgrund unterschiedlichster Faktoren hervorragend. Es geht um den ausufernden Superfood-Hype, der auch eine dunkle Seite hat. Was also hat es mit den Schattenseiten auf sich? Und wie sieht eine mögliche Lösung für die entstehenden Probleme aus?
Licht und Schatten liegen nahe beieinander
*Nährstoffreiche Lebensmittel wie Chiasamen, Avocados und Quinoa sind hervorragende Lebensmittel und gehören in ihren jeweiligen Herkunftsländern nicht umsonst mitunter seit Jahrtausenden zur Grundernährung. Die erhöhte weltweite Nachfrage nach genau diesen Produkten hat auch viele positive Seiten für die Länder, in denen die Superfoods angebaut werden.
Denn durch die steigende Nachfrage und die die damit steigenden Verkaufspreise nimmt auch das Einkommen der lokalen Bauern zu, sodass diese ihren Kindern eine bessere Bildung ermöglichen und ihren Wohlstand steigern können. Auf der anderen Seite profitieren wir als Konsumenten von den zahlreichen gesundheitlichen Vorteilen der Superfoods.
Eine echte Win-win-Situation also für alle? Nicht unbedingt, denn an dieser Stelle führt kurzfristiges Denken oft zu langfristigen Schäden in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Wohlstand. Welche Probleme durch den Hype beispielsweise auftreten, möchten wir am Beispiel von Avocados, Chiasamen und Quinoa beleuchten.
Chia – Ein kleiner Samen erobert die Welt
Wer hätte gedacht, dass Chiasamen innerhalb der Europäischen Union noch bis 2013 ausschließlich als Zutat in Backwaren zugelassen waren? Heute sind die kleinen Samen aus der Fitnesswelt kaum mehr wegzudenken. Verantwortlich dafür ist neben der Chiasamen-Hype-Welle aus den USA in erster Linie die Erweiterung der Genehmigung für den Verkauf von Chiasamen und Chia-Produkten in der EU.
Die extrem hohe Nachfrage hat die kleinen Samen aber nicht nur in die Regale jedes noch so kleinen Discounters gebracht, sondern zwischenzeitlich auch zu einer deutlichen Erhöhung der Preise geführt, da die weltweit angebaute Menge Chiasamen die nachgefragte Menge bei Weitem nicht decken konnte. Zwischenzeitlich kletterte der Preis pro Kilogramm auf bis zu 10 Euro.
Erst durch die massive Ausweitung der Anbauflächen in Südamerika und den einsetzenden Anbau in Australien und auf dem afrikanischen Kontinent konnte die Nachfrage gedeckt werden. Ein perfektes Beispiel also für das hervorragende Funktionieren der globalen Marktwirtschaft, denn durch die Zunahme der Anbauflächen stieg auch das Einkommen der lokalen Bauern.
Extreme Nachfrage führt zu Problemen
Die erhöhte Nachfrage hat natürlich auch dazu geführt, dass jeder Chia-Bauer ein Stück vom Kuchen abhaben wollte. Und das am besten so schnell wie möglich und ohne Rücksicht auf Verluste. Gerade in Südamerika, haben viele kleine und große Betriebe zunehmend auf Quantität als auf Quantität gesetzt. Speziell durch den massiven Einsatz von Spritzmitteln wie Diquat und Paraquat sowie Schimmelpilzgifte wie Aflatoxine sollten die Erträge so schnell wie möglich maximiert werden.
Das Ergebnis waren teils minderwertige Erzeugnisse, die zudem mit deutlich erhöhten Pestizid-Werten belastet waren. Zudem wurden Chiasamen oftmals kurzerhand auf ehemaligen Sojafeldern angepflanzt, die noch vom Sojaanbau belastet waren. Das Ergebnis dieser kurzfristigen Denkweise ist also alles andere als ein Superfood.
Kompletter Verzicht ist auch keine Lösung
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln hat definitiv seinen Sinn, denn ohne wäre die Weltbevölkerung nicht einmal im Ansatz zu ernähren. Allerdings verlangt die Vernunft einen rationalen Einsatz dieser Mittel, um den Endverbraucher, die Böden und letztlich auch die Gesundheit der Bauern nicht zu schädigen. Komplett auf Chiasamen zu verzichten, ist keine zufriedenstellende Lösung.
So verlören die lokalen Bauern ihr Einkommen, deren Kinder ihre Bildungschancen und deren Länder einen Teil ihres Wohlstandswachstums. Die Lösung lautet einmal wieder bewusster Konsum. Und hier greifen abermals die uralten Wirtschaftsgesetze von Angebot und Nachfrage. Denn, wenn wir als Endverbraucher nach Bio-Chiasamen “verlangen”, werden sich die Produzenten anpassen und einen nachhaltigen Anbau vorantreiben. Dann haben wir eine echte Win-win-Situation für alle.
Quinoa-Hype hat positive und negative Folgen für Südamerika
Dass Quinoa bei Sportlern einen so hervorragenden Ruf genießt, liegt nicht zuletzt daran, dass das Pseudogetreide einen sehr hohen Proteinanteil hat und darüber hinaus kein Gluten enthält. Nach und nach kamen so immer mehr Fitnesssportler darauf, Quinoa in ihre Ernährung einzubauen.
Damit rückte das Pseudogetreide aus Südamerika auch in den Fokus der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die das Jahr 2013 zum Internationalen Jahr der Quinoa machte. Durch das Zusammenkommen dieser Faktoren stieg die Nachfrage enorm. Gleichsam kletterten die Preise rasant, sodass sich diese in der Spitze mehr als verzehnfachten.
Für Probleme sorgte der Quinoa-Hype in erster Linie in den traditionellen Anbaugebieten der Quinoa-Pflanze, im Hochland der Anden. Die hier anzutreffenden stark lehmhaltigen Böden bieten der Pflanze ideale Wachstumsbedingungen. Dank der steigenden Marktpreise konnten auch hier die Bauern ihr Einkommen deutlich steigern, sodass sich viele Familien nun auch andere Lebensmittel leisten konnten. Im Gegenzug nahm der Quinoa-Konsum allerdings ab. Ursächlich ist neben der Tatsache, dass das Nahrungsmittel deutlich im Preis gestiegen ist, auch der Umstand, dass ein Großteil der Ernte für den Export reserviert ist.
Übernutzung von Anbauflächen verringert den Nahrungsmittelertrag
Eigentlich profitieren die lokalen Bauern und deren Familien also von der hohen Nachfrage nach Quinoa. Allerdings führt der Hype gerade in Peru und Bolivien dazu, dass immer mehr Flächen für den Anbau von Quinoa erschlossen werden. Neben den sehr gut für den Anbau geeigneten Lehmböden in den Höhenlagen, werden nun auch die weniger lehmhaltigen und nährstoffärmeren Böden für den Anbau genutzt, um die Produktionsmenge zu erhöhen.
Gerade die Nährstoffarmut führt jedoch zu einem deutlich geringeren Ertragszuwachs als ihn sich die Bauern wünschen. Und so erschließen sie weitere Flächen. Im Ergebnis müssen so viele Felder weichen, auf denen andere Nutzpflanzen deutlich besser wachsen. Außerdem brauchen die nährstoffarmen Böden deutlich länger für die Regeneration. Unter dem Strich verringert sich so der mögliche Gesamtertrag an Nahrungsmitteln.
Zudem führt die fortwährende Erschließung zusätzlicher Flächen zu Bodenerosion, sodass wertvolle Anbauflächen verlorengehen. Darüber hinaus haben Quinoa-Bauern, die Quinoa außerhalb der natürlichen Heimat der Pflanze anbauen, mit Ernteverlusten durch Schädlinge zu kämpfen, die es in den traditionellen Anbaugebieten gar nicht gibt.
Die Auswirkungen des Avocado-Wahnsinns
Kaum ein Superfood hat in den vergangenen Jahren einen derartigen Boom erlebt wie die Avocado. Kaum ein Fitness-Kochbuch, in dem nicht mindestens ein Dutzend Rezepte die leckere grüne Frucht auf der Zutatenliste hat. Alleine in den vergangenen drei Jahren lag die weltweite Avocado-Ernte konstant bei mehr als 5 Millionen Tonnen, wobei die meisten Früchte nach Europa und in die USA exportiert werden. Alleine in Europa sollen nach Angaben der World Avocado Organization im Jahr 2018 rund 550 Millionen Kilogramm der Frucht verzehrt werden.
Die Avocado-Rechnung geht nicht wirklich auf
Traditionell wird die Avocado in Mexiko angebaut, wo die Frucht unter anderem zum weltbekannten Dip “Guacamole” verarbeitet wird. Der Hauptprofiteur des Booms ist der mexikanische Bundesstaat Michoacán, der im Westen Zentralmexikos liegt. Kein Wunder, dass die einheimischen Bauern mehr und mehr Anbauflächen für Avocados erschließen und dabei auch zunehmend Waldflächen roden.
Hier fangen die Probleme auch schon an, denn bis eine Avocado-Pflanze erstmals erntefähige Früchte trägt, dauert es mindestens sieben Jahre. Damit ist jede neu angelegte Avocado-Plantage eine Investition in die Zukunft. Ist der Avocado-Hype vorbei, war die Investition umsonst. Allerdings lohnt sich der Anbau der Früchte aktuell, denn schon 2.000 Pflanzen reichen aus, um einem Bauern einen jährlichen Gewinn von rund einer Million US-Dollar einzubringen. In Anbetracht eines in Mexiko durchschnittlichen Jahreseinkommens von 10.000 US-Dollar liegt es auf der Hand, warum die Landwirte die Anbauflächen trotz des Risikos massiv ausweiten.
Das wahre Problem liegt aber nicht einmal im persönlichen Risiko des einzelnen Bauern. Dieser ist schließlich selbst dafür verantwortlich, welche Erzeugnisse er anpflanzen möchte und welche nicht. Problematisch ist in erster Linie der enorme Wasserverbrauch der Avocado-Pflanze. Um nur ein Kilogramm Avocados zu produzieren, braucht die Pflanze gut 1.000 Liter Wasser. Zum Vergleich: Für ein Kilogramm Kartoffeln, die in der Region ebenfalls hervorragend gedeihen, benötigt man nur rund 130 Liter Wasser.
Man könnte also sagen, dass die Böden des Landes ineffizient genutzt werden, da diese Böden für ein ressourcenfressendes Luxusprodukt verwendet werden und nicht für den wesentlich wichtigeren Anbau von Grundnahrungsmitteln. In Mexiko hat das bereits seit dem ersten Avocado-Boom in den 1990er-Jahren zu zahlreichen Wasserknappheiten in den Anbauregionen geführt. Vielerorts muss die Bevölkerung gar mit Tankwagen mit Trinkwasser versorgt werden, da das Wasser der Flüsse für die Bewässerung der Avocado-Plantagen abgezweigt wird.
Superfoods durch Local-Foods ersetzen
Nun, wir möchten dir nicht dein Avocado-Brot oder deinen Quinoa-Salat vermiesen. Aber dennoch ist es notwendig, einen Blick auf die Problematik der Superfoods zu werfen. Wie bei allem im Leben ist auch hier ein maßvoller Konsum der goldene Mittelweg, der für möglichst viele Parteien eine Win-win-Situation schafft. Wichtig ist auch hier das Verständnis, dass viele dieser Superfoods objektiv betrachtet gar nichts so Besonderes sind, sondern lediglich von einem geschickten Marketing und unserer Lust nach Exotik profitieren.
Ganz nüchtern betrachtet ist beispielsweise der Chiasamen für die Südamerikaner nichts anderes als für uns ein “langweiliger” Leinsamen und Quinoa nichts anderes als für uns die Kartoffel. Um unserem Körper mit “Superfoods” etwas Gutes zu tun, müssen wir gar nicht in die Ferne schweifen. Auch bei uns in Europa wachsen zahlreiche Pflanzen, die mindestens ebenso gesund sind.
Das einzige Manko: Wir kennen diese Lebensmittel, und damit fehlt ihnen die magische Aura des Exotischen. Es macht also durchaus Sinn, wenn du einmal Hirse statt Quinoa, Grünkohl statt Granatapfel und Leinsamen statt Chiasamen verwendest. Ab und zu auch auf “Superfoods” aus Übersee zu setzen, ist aber nach wie vor absolut in Ordnung, solange du darin kein Allheilmittel für deine Ernährung siehst.